Leben als Bauer in der Türkei – von perversen Persern und flutschigen Türken


18.9-1.10
Es dämmert bereits, als uns der Busfahrer an einer kleinen Straße absetzt, die zu unserer Farm führen soll. Wir befinden uns etwa 100 Kilometer östlich von Istanbul. Offensichtlich sind wir mitten in der Pampa, und wir gehen eine Allee entlang, gesäumt von raschelnden Bäumen. Die Flora erinnert uns an Deutschland, denken wir uns. Nach einem kurzen Fußmarsch sehen wir schließlich die Villa, die für die kommenden zwei Wochen unser Zuhause sein wird. Der Garten ist ziemlich verwildert, und am Eingang kommen uns die ersten freundlichen Hunde entgegen, um uns zu begrüßen. Auch von den anderen Freiwilligen werden wir herzlich empfangen. Kiana, eine Neuseeländerin, führt uns durchs Haus und erklärt uns alles. Wir merken sofort, dass die Stimmung und der generelle Vibe richtig gut sind. Eine bunte Mischung aus 15 Personen aus aller Welt sorgt dafür, dass es nie langweilig wird.

Zunächst ziehen wir in ein Zimmer mit zwei Hochbetten. Ein Bett ist bereits von einem Kolumbianer belegt. Jonas, der obligatorisch stets das obere Bett wählt, sucht vergeblich nach einer Leiter für sein hochgelegenes Nest. Er muss tatsächlich seine Reckturn-Fähigkeiten aus der Schulzeit rekapitulieren, um erfolgreich nach oben zu gelangen. Zum Ärger von Kathi kommt hinzu, dass jede noch so kleine Bewegung auf dem Stockbett lautstark knarzt. Mist, denken wir uns. Zu dem Zeitpunkt wissen wir leider noch nicht, dass wir bereits zwei Tage später in ein komfortableres Doppelzimmer umziehen dürfen. Während wir unser Zimmer beziehen, bekommen wir Hunger. Jonas hatte wieder Angst, dass es vielleicht nichts mehr zu essen geben würde, wenn wir ankommen. Doch diese Sorge war unbegründet. Es stehen schon allerlei Leckereien auf dem Herd, und wir müssen uns nur bedienen. Am Esstisch werden die Gespräche bald äußerst interessant. Amir, provokanter aber lustiger Perser, fragt in die Runde, wie oft die anderen denn durchschnittlich masturbieren würden. Das geht ja schon gut los, denken wir uns. Aber immerhin sieht es so aus, als würde es nicht langweilig werden. An einem anderen Tag wird er Jonas in ein Gespräch verwickeln, um zu erfahren, wie er es so lange mit einer Frau aushalten könne. Amir entpuppt sich als ziemlich notgeil. Trotz seiner 33 Jahre hatte er noch nie länger als zwei Monate eine Beziehung, weil die Frauen ihm dann zu langweilig wurden.

Zurück zum Farmleben. Am nächsten Morgen stehen wir um 7:30 Uhr auf und machen uns auf den fünfminütigen Fußweg zur Farm. Arbeitsbeginn ist um 8:15 Uhr. Es gibt eine kleine Industrieküche, in der Gemüse von Hand verarbeitet und eingekocht wird. Dieses wird dann in Gläsern auf dem Biomarkt verkauft. Kathi hilft am ersten Tag in der Küche aus, während Jonas mit den anderen auf dem Feld natürliches Düngemittel (getrocknete Hühnerkacke) aus Säcken verteilt und anschließend kleine Salate pflanzt. Eine ziemlich harte Arbeit, vor allem, wenn man bedenkt, dass man sich den ganzen Tag bei Sonnenschein bücken muss. Trotzdem ist es eine tolle Gelegenheit, sich mit den anderen Freiwilligen auszutauschen. Dabei lernt Jonas das thematisch passende türkische Wort „Hadi“, was „schneller“ bedeutet.

Jeden Tag ab 10:30 Uhr machen wir kollektiv eine Essenspause in einem der Gewächshäuser, das als Küche ausgebaut wurde. Dort gibt es Kartoffeln, Eier, eingekochtes Gemüse frisch vom Feld und türkischen Schwarztee, der so stark ist, dass wir danach wieder fit sind. Nach der 45-minütigen Pause geht es dann weiter bis 14 Uhr. Dann ist wohlverdienter Feierabend. Das Gute an der Arbeit auf der Farm ist, dass wir täglich etwas anderes machen dürfen und somit einen guten und umfassenden Einblick in das Leben auf einer Biofarm erhalten. Teilweise säen wir, jäten Unkraut oder pflücken Paprika vom Feld.

Burak, der Besitzer der Farm, ist ein richtig cooler Kerl. Er war früher Architekt und beschloss dann, aufs Land zu ziehen und Biobauer zu werden. Einmal entbrannte zwischen ihm und uns sogar eine hitzige Diskussion darüber, wo der Döner erfunden wurde und ob der deutsche oder der türkische Döner besser schmeckt. Burak recherchierte kurz auf seinem Handy und zeigte uns ein altes Foto von einem Türken, der stolz vor seinem selbst entwickelten dampfbetriebenen Drehspieß steht. Somit ging der Punkt wohl eindeutig an die Türkei. Die Frage, ob der deutsche oder der türkische Döner besser schmeckt, konnten wir jedoch nicht klären. Wir finden jedenfalls, dass der türkische Döner zu trocken ist – er besteht eigentlich nur aus Fleisch und Brot. Burak sieht das natürlich anders!

Die Arbeit auf der Farm ist meistens leicht, oder man kann in seinem eigenen Tempo arbeiten, wenn es mal anstrengender ist. Die Atmosphäre ist freundlich und entspannt. Nur wenn man mit den festangestellten türkischen Frauen Gemüse pflückt, hört man öfter „Hadi, hadi, hadi!“ Dabei lachen sie jedoch, und zugegeben, wir Freiwilligen reden manchmal mehr, als dass wir arbeiten! Nach der Schicht dürfen wir immer allerlei frisches Gemüse, Obst und Eier mit zu unserer Villa nehmen. So haben wir immer kistenweise frische Bio-Lebensmittel in der Küche, wodurch das Kochen natürlich umso mehr Spaß macht.

Wir sind überrascht von der Dynamik beim Kochen. Irgendjemand von den Freiwilligen kocht tatsächlich immer für die ganze Gruppe. Besonders Mahi, eine Perserin, strahlt richtige „Mami-Vibes“ aus. Sie liebt es, für alle zu kochen. Man merkt, dass das Zusammenkommen beim Essen in ihrer Kultur sehr wichtig ist. Sie ist wie unsere Mama, die sich darum kümmert, dass alle satt werden. Dann gibt es auch noch Leo, einen quirligen Italiener, der immer frische Limonade für alle macht. Nur beim Abspülen hakt es oft, und manchmal stapeln sich dadurch die Töpfe in der Küche. Aber bei so vielen Leuten ist es einfach nie überall ganz sauber.

Ein echtes Highlight der Farm ist der sogenannte Meditationsraum. Dieser liegt in der Nähe unserer Villa, mitten in der Natur. Es gibt eine Glasfront, die sich ganz öffnen lässt, und Netze, in die man sich wie in Hängematten legen kann. Irgendwann beginnt Kathi, Leute für Yoga dort zu rekrutieren. So etabliert sich, dass täglich um 17:30 Uhr Yoga im Meditationsraum stattfindet. Danach wird oft auch noch meditiert. Jonas hingegen ist im Moment an anderen sportlichen Aktivitäten interessiert. Seit kurzem macht er „HIT“, was für High Intensity Training steht. Man macht 20 Minuten intensive Sporteinheiten. Auch hier bildet sich bald eine Gruppe, die sich ihm täglich anschließt. Wer hätte gedacht, dass gerade wir hier zu solchen Sportskanonen werden!

Erwähnenswert ist auch unser Ausflug zu einer Art türkischem Volksfest. Burak holt uns eines Sonntags mit dem Bus ab, und nach einer kurzen Fahrt finden wir uns in einer mit Zuschauern vollgepackten Arena wieder. In der Mitte befindet sich eine runde Rasenfläche, auf der sich etwa 40 türkische Männer tummeln. Ihre Oberkörper glänzen in der Sonne wie die von Gladiatoren, allerdings nicht wegen des Schweißes, sondern weil sie eingeölt sind. Anscheinend ist dies eine lokale Sportart. Wir staunen nicht schlecht, als wir beobachten, wie immer einer der beiden Männer seinen Arm ganz tief in die Hose des anderen verankert. Es sieht so aus, als würde er versuchen, seinen Arm vollständig im Hintern des anderen zu versenken. Tatsächlich ist dies aber ein bestimmter Griff, um den Gegner auf den Rücken zu drehen. Zu unserer Belustigung können sich diese Griffe minutenlang hinziehen. Außerhalb der Arena gibt es zahlreiche Essensstände und eine Art Traktorschau, die auch in Bayern hätte stattfinden können.

Nach zwei Wochen Aufenthalt packen wir schweren Herzens unsere Rucksäcke. Wir hätten es wirklich noch länger ausgehalten, nur leider ist unser Flug nach Bangkok schon gebucht. Wir freuen uns aber auch riesig auf Südostasien. Deshalb fällt der Abschied nicht allzu schwer. Ähnlich wie auf der Farm in Peru haben wir hier wieder tiefere Freundschaften geschlossen und tolle, außergewöhnliche Leute kennengelernt. Es ist ein Ort, an den wir gerne irgendwann zurückkehren würden. Die Türkei muss auf jeden Fall noch ausgiebiger bereist werden, so viel steht fest. Doch auch hier kehrt langsam der Herbst ein. Bei unseren frühmorgendlichen Spaziergängen mit den Hunden am Wochenende liegen schwere Nebelschwaden im Tal, und die Blätter im Wald färben sich bunt. Am Tag unserer Abreise regnet es, was uns den Abschied nicht gerade schwerer macht. Auf geht’s nach Bangkok, Baby!


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